Alltagsrassismus

Rassismus wirkt auf unterschiedlichen Ebenen und durchzieht gesellschaftliche, politische und soziale Strukturen. Alltagsrassismus ist eine Ebene davon. Mit diesem Begriff wird zusammengefasst, was Menschen, die von Rassismus adressiert werden, unvermittelt und in jedem Moment im öffentlichen Leben erfahren können. Es geht um die alltägliche Anders-Machung. Von Rassismus adressierte Menschen werden aufgrund äußerlicher Merkmale und Annahmen über Herkunft, Sprache und Sozialisierung einer Gruppe zugeordnet. Im Alltagsrassismus äußern sich Vorurteile und stereotype Vorannahmen über diese konstruierten Gruppen. Diese zeigen sich z.B. durch kurze Blicke, alltägliche Interaktionen, Kommentare oder in der Werbung. Diese kleinen Momente häufen sich und gewinnen so an Schwere für die Menschen, die mit ihnen anders gemacht werden. Diese Form des Rassismus wird auch Mikroagression genannt. Kennzeichnend ist also, dass durch Alltagsrassismus Personen immer wieder die Botschaft erhalten, als „anders“ wahrgenommen zu werden und dementsprechend nicht als gleichwertiger Teil der gesamten Gesellschaft.

Nebensächlich ist dabei, ob die Botschaft mit Absicht oder unabsichtlich gesandt wird oder mit positiven oder negativen Absichten – Die Botschaft der Abgrenzung gegenüber Personen, die Rassismus erfahren, bleibt dieselbe. Diese Beschreibung geht auf diverse Autor*innen zurück, die in den letzten Jahren öffentlich über Rassismus geschrieben und gesprochen haben. Dabei zu nennen sind vor allem Alice Hasters und Mohamed Amjahid – beide verfassen empfehlenswerte Texte – in Büchern, in deutschsprachigen Zeitungen, in Podcasts und auf Instagram.

Sprache dekolonisieren

“(…) Sprache verändert unsere Wahrnehmung. Weil ich das Wort kenne, nehme ich wahr, was es benennt.”
Das schreibt Kübra Gümüşay in ihrem 2020 erschienenen Buch “Sprache und Sein”, aus dem in diesem Beitrag noch mehr Zitate folgen werden.

Wörter und alltägliche Floskeln transportieren oft tradierte Ideen des Kolonialismus, der sich in der Sprache manifestiert hat. Dabei handelt es sich um rassistische Ausdrücke sowie um Wörter, die Menschen in Gruppen einteilen, voneinander durch imaginierte Merkmale abgrenzen und sie als ‘Anders’ definieren. Historisch betrachtet brauchte es eine ideologische Grundlage, um koloniale Gewalt gegenüber den als ‘die Anderen’ definierten Menschen auszuüben, weshalb ein Diskurs darüber geführt wurde, dass Menschen nach ‘Rassen’ unterteilt und diese wiederum in Hierarchien eingeteilt werden könnten. Die Etablierung der Definition der ‘Anderen’ sowie der Rassentheorie legitimierte also gewaltsame Besetzungen und Kriege.
Sprachlich haben sich diese Gedankengrundlagen in rassistischen Wörtern manifestiert und werden bis heute unreflektiert verwendet, was eine Normalität der sprachlichen Abgrenzung von Menschen zur Folge hat.
“Wenn Sprache unsere Betrachtung der Welt so fundamental lenkt – und damit auch beeinträchtigt -, dann ist sie keine Banalität, kein Nebenschauplatz politischer Auseinandersetzungen. Wenn sie der Stoff unseres Denkens und Lebens ist, dann müsste es selbstverständlich sein, dass wir uns immer wieder fragen, ob wir einverstanden sind mit dieser Prägung. (…) Sprache ist mächtig. Und Macht bedeutet Verantwortung”,so Gümüşay.
Um Sprache zu dekolonisieren, schlägt die Sprachwissenschaftlerin Susan Arndt eine Art öffentlich eingesetzte Kommission vor, die aus Expert*innen, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Politiker*innen bestehen sollte, denn Rassismus ist ein strukturelles Problem, das strukturell angegangen werden muss. Denn in rassistischen Wörtern wird Gewalt transportiert und täglich reproduziert. Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit sieht Arndt im diskriminierungsfreien Sprechen nicht, denn Rassismus ist keine Meinung. Dass diese oft englisch seien, wie etwa der Begriff „People of Color“, liege daran, dass in Deutschland sehr lange nicht über Rassismus gesprochen wurde.
Vokabellücken oder Sprachlosigkeit bedeutet der Verzicht auf rassistische Wörter nicht – nach Arndt gibt es jahrzehntelange antirassistische Vorarbeit und entsprechend viele diskriminierungsfreie Begriffe, die analog verwendet werden können. Dies erklärt z.B., warum es notwendig war Straßennamen umzubenennen und es schon lange überfällig wird Supermarktprodukte neu zu benennen, wie z.B. ‘Schaumküsse’. Um nochmal mit einem Zitat von Gümüşay die Wichtigkeit der Sprache hervorzuheben: “Klar ist also: Wir müssen uns mit der Architektur der Sprache beschäftigen, die unsere Realität erfassen soll. Damit wir aussprechen können, was ist. Damit wir sein können, wer wir sind. Damit wir sehen können, wer die jeweils anderen sind.” (Gümüşay 2020: 21).

 

Quellen:

Anna

Sara

Lana

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  • Amjahid, Mohamed (2021): Der weisse Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken. Piper Verlag.
  • Bönkost, Jule (2021): White Allyship: Keine Selbstbeschreibung, sondern Handeln. In: IDB Paper, No. 9.
  • Clark, M.D. (2019): White folk’s work: digital allyship praxis in the #BlackLivesMatter movement. Social Movement Studies, 18, 5, S. 519-534.
  • Czollek, Leah Carola/ Perko Gudrun (2014) Das Konzept des Verbündet-Seins im Social Justice als spezifische Form der Solidarität. In: Boden, Anne/Mecheril, Paul (Hg.): Solidarität in der Migrationsgesellschaft. Bielefeld: transkript, 153-166.
  • Hasters, Alice (2019): Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten. Berlin: Hanserblau Verlag.
  • Kaufmann, Margrit E. & Satilmis, Ayla (2016): (Selbst-)Reflexion zu Rassismus und Dekolonisierung im Alltag. In: 25 Jahre Rassismuskritik – Fehlschläge, Weiterentwicklungen, Erfolge und Hoffnungen. IDA, 107-110.
  • Ogette, Tupoka (2019) : Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen. Münster: Unrast Verlag.

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